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Wilhelm Beetz
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Wilhelm Beetz
Wien 1880: Kaiser Franz Joseph steht im 33. Jahr seiner
Regierung, Dr. Julius Ritter von Newald ist B?rgermeister von Wien. Dieses Wien - k.k. Reichshaupt- und Residenzstadt eines Reiches von f?nfzig Millionen Einwohnern bem?ht sich eben, den Anschluss an die anderen Weltst?dte und an die moderne Zeit nicht zu vers?umen. Da
ist einiges nachzuholen. Andere Gro?st?dte verf?gen schon zum Teil ?ber moderne ?ffentliche Toiletteanlagen. Mit solchen Anlagen steht es in unserer Stadt nicht zum besten.
Diese "Marktl?cke" machte sich ein kluger Berliner Kaufmann und preu?ischer "Unterthan", Johann Gottlieb Wilhelm Beetz, zunutze. Er brachte am 11. November 1880 beim Magistrat Wien ein Offert zur Errichtung sogenannter "Bed?rfnisanstalten f?r Personen beiderlei Geschlechts" ein.
Beetz, der aus einer Familie von Landwirten und M?hlenbesitzern stammte, wurde 1844 in Zehdenik bei Berlin geboren. Urspr?nglich war er Gerichtsbeamter (Stadtgerichtsbureau Assistent) gewesen. Bei einem l?ngeren Aufenthalt in London wurde er mit den in England erdachten "Water Closets" bekannt. Es war in jenen Tagen noch keineswegs selbstverst?ndlich, dass Abortanlagen in Wohnh?usern und in ?ffentlichen Geb?uden mit Wassersp?lungen ausgestattet waren.
Bürokratie & Anfänge
Berlin besa? damals aber immerhin schon Klosettanlagen auf ?ffentlichen Stra?en und Pl?tzen.; solche Anlagen wollte Beetz nun auch errichten.
Der Wiener Gemeinderat anerkannte wohl die Notwendigkeit und N?tzlichkeit der von Wilhelm Beetz offerierten Anstalten, behielt sich zun?chst die Errichtung solcher ?ffentlicher Toiletteanlagen selbst vor. Der hartn?ckige Norddeutsche lie? sich aber nicht entmutigen und reichte 1882 nochmals ein Offert ein.
Am 24. Juli 1883 stimmte der Wiener Gemeinderat zu, vielleicht auch wegen der damals auftretenden Choleraepedemien.
Die Idee zu solchen Klosettanlagen entstand urspr?nglich in Frankreich, von wo sie schon 1879 vereinzelt auch nach Deutschland exportiert und dort sp?ter nachgebaut und verbessert worden sind. In Deutschland wurden die ersten Anstalten auch mit einem Latrinenkasten in Verbindung gebracht. Beetz konnte jedoch seine Anlagen an das st?dtische Kanalnetz anschlie?en. Die Kosten der Errichtung dieser neuen Klosettanstalten waren nicht unbetr?chtlich. Beetz mu?te sie, wie auch die Betriebskosten selbst tragen und d?rfte daf?r sein gesamtes ererbtes und erspartes Verm?gen eingesetzt haben. Die Stadt Wien stellte die notwendigen Baugr?nde zur Verf?gung. Nach Erteilung der Konzession durch den Wiener Magistrat kaufte Beetz von dem Bauunternehmer He?e in Rixdorf bei Berlin eine fertige Anstalt. Sie wurde auf der Eisenbahn verladen und langte am 12.08.1883 in Bodenbach (?sterreichische Grenzstation) und am 15.08.1883 in Wien ein.
Am Sonntag, den 23.09.1883 ist dann die erste Beetz'sche Bed?rfnisanstalt in Wien ihrer Bestimmung ?bergeben worden. Das "Wiener Sonntagsblatt" schrieb u.a.: "Gestern, Samstag, fand Seitens vieler Herren Gemeinder?the, wie auch des Publicums die eingehende Besichtigung der ersten Bed?rfnisanstalt f?r beide Geschlechter an der Landstra?er Hauptstra?e (auf dem Kinderspielplatz n?chst dem Invalidenhause) statt. Dieses Closett ist sehr praktisch angelegt, recht bequem und luxuri?s ausgestattet und ist der Preis f?r die Ben?tzung desselben ungemein billig (? 4 kr. und ? 2 kr.) Unternehmer der Wiener Bed?rfnisanstalten auf ?ffentlichen Pl?tzen ist Herr Wilhelm Beetz...." Die Errichtung weiterer Anlagen folgte: Wien, IV., Technikerstra?e-Karlsgasse (Park), VI., Wallgasse und Gumpendorferstra?e, I., Rathauspark. Diese Anstalten lie? Beetz von der Firma A. Samek, in Wien, III., Erdbergerl?nde 10 anfertigen. Die Aufstellung und der Betrieb erfolgte bereits auf Grund eines zwischen Wilhelm Beetz und der Gemeinde Wien am 27.11.1883 unterzeichneten, auf die Dauer von zehn Jahren abgeschlossenen, Vertrages. Weitere Vertr?ge folgten, wurden laufend verl?ngert und erweitert.
Urinol
Dies auch deshalb, weil Beetz sich erb?tig machte, die Pissoire in den Anstalten mit einer von ihm hergestellten Mineral?lkomposition zu behandeln. F?r dieses Pissoir-?l, das Beetz Urinol nannte, erwarb er sp?ter zahlreiche internationale Auszeichnungen und Anerkennungen.
Im Jahre 1903 entschlo? sich die Stadt Wien, die schadhaften Wassersp?leinrichtungen in 30 ?ffentlichen Pissoiren nicht mehr instandsetzen zu lassen, sondern diese auf das patentierte ?lsystem Beetz umzustellen. Die hohen Wiener Wasserkosten und der hohe Wasserverbrauch (t?glich 3132 hl) f?hrten zur Vernachl?ssigung der Pissoire und in weiterer Folge zu Geruchsbel?stigungen und Beschwerden des Publikums. ?l-Pissoire waren ?berdies winterfest, w?hrend die Behandlung mit Wasser h?ufig zu Einfrierungen und Eisbildungen gef?hrt hatten. Die Anlagen mu?ten auch mit neuen Fu?b?den und Anstrichen versehen und mit neuen Pi?w?nden aus Naturtonschiefer und die Abl?ufe mit Geruchsverschl?ssen ausgestattet werden. In einem f?r die Dauer von f?nfzehn Jahren abgeschlossenen Vertrag leistete die Stadt Wien f?r diese Arbeiten, sowie f?r die Betreuung, Desinfektion und Geruchloshaltung der Anlagen nach dem System Beetz einen entsprechenden Beitrag, n?mlich 150 Kronen j?hrlich pro Pi?stand. Die von Beetz selbst errichteten Bed?rfnisanstalten warfen jedoch in den ersten Betriebsjahren keinen, oder doch nur einen sehr geringen Ertrag ab, so da? vor?bergehend "kein Einwand gegen die steuerfreie Behandlung" dieser Klosettanlagen erhoben wurde. In der Folge weitete sich der Betrieb immer weiter aus, so da? Beetz nach und nach an die 100, meist ?ltere Frauen als Wartefrauen (Toilettefrauen) besch?ftigte. In den damals wirtschaftlich schwierigen Zeiten h?tten sie kaum eine andere Arbeitsm?glichkeit gefunden. Beetz trug auch die Kosten ihrer Krankenversicherung, wodurch auch die st?dtische Wohlfahrt entlastet wurde; die Frauen erhielten einen zwar geringen, aber immerhin fixen Lohn. Schon 1896 schlug der ?sterreichische Ingenieur- und Architektenverein der Firma die Errichtung unterirdischer Klosettanlagen, nach Londoner Vorbild, auf dem Stephansplatz oder dem Graben davor. Wilhelm Beetz erbaute dann 1904 die erste unterirdische Bed?rfnisanstalt in Wien, auf dem Graben. Diese Anlage (die auch in Fachb?chern beschrieben wird) erforderte allein wegen des notwendigen Erdaushubs und wegen der besonders aufwendigen Innenausstattung, wie feine H?lzer, geschliffene Gl?ser, Dekor-Waschtische, u.?., au?erordentliche Aufwendungen. Die Baukosten betrugen die horrende Summe von 74.000 Kronen, wovon die Stadt Wien 32.000
Kronen zuscho?. Diese Bed?rfnisanstalt wird wegen ihrer Einmaligkeit
Zeit von der Stadt Wien (Magistratsabteilung 48 und Kulturamt) revitalisiert.
Internationale Erfolge
Im Jahre 1906 schlo? Beetz mit der Stadt Budapest einen
?hnlichen Vertrag ab, wie er mit Wien bestand. Der Budapester Betrieb wurde getrennt von dem Wiener gef?hrt.Er wurde 1945 im Zuge der Nachkriegsereignisse von der Stadt Budapest ?bernommen. >
Um seine Anstalten einrichten und in Betrieb halten zu k?nnen, mu?te Beetz Handwerker aller Fachrichtungen besch?ftigen.
So finden wir unter ihnen Tischler, Installateure, Schlosser, Spengler, Maurer, Elektriker. Auch war der Erwerb verschiedenartigster Gewerbeberechtigungen erforderlich: "Gas- und Wasserinstallationsgewerbe", "Gewerbsm??iger Betrieb und Errichtung von Bed?rfnisanstalten", "Handel mit Bestandteilen und Betriebsmaterialien.
Die Beetz'schen Toiletteanlagen wurden bald auch au?erhalb Wien's bekannt. So wurden solche auch in der N?he (Baden bei Wien), aber auch in anderen Teilen der Monarchie (Fiume, Triest) errichtet , selbst ins Ausland (bis nach Johannesburg).
Am 17. Mai 1921 verstarb der Firmengr?nder und Inhaber, Wilhelm Beetz seine beiden T?chter ?bernahmen das Erbe und die Firma wurde in eine Gesellschaft mit beschr?nkter Haftung umgewandelt (Gesellschaftsvertrag vom 07.06.1922).
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Innovation durch Tradition.
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